Lyrik im Kino: Das Berliner „Zebra Poetry Film Festival“ stellt sich in Weiterstadt vor
WEITERSTADT/BERLIN – Löwen verspeisen ja gerne mal ein Zebra. Das Bild hatte Thomas Wohlfahrt, der Leiter der Literaturwerkstatt Berlin, im Kopf, als er 2002 eine Filmreihe zur Poesie begründete: In einer Filmwelt, wo der Hollywood-Löwe von Metro Goldwyn Mayer regiert, sollte es ein Kulturschutzgebiet fürs „Zebra“ geben, dessen Streifen für das Nebeneinander von Dichtung und Filmkunst stehen. Schon 2006 war dieses „Zebra“ so groß, dass es zum eigenen internationalen Festival wurde – alle zwei Jahre mit 200 Beiträgen für vier Tage im Berliner Babylon-Kino ausgerichtet. Im Oktober 2016 ist es wieder soweit.
Am Samstag (15.) stellt nun der künstlerische Leiter Thomas Zandegiacomo mit einem einstündigen Programm aus 14 Beiträgen sein Filmfest bei den Kollegen vom Weiterstädter Festival vor. Zwar gebe es auch erzählerische Balladen und einige Filme, die Poesie in einen weiteren Handlungsrahmen betten, doch die meisten „Zebra“-Beiträge seien sehr kurz und nicht selten sehr abstrakt, erklärt Zandegiacomo im ECHO-Gespräch: „Es gibt ja auch Laut-, Zahlen- und Nonsensgedichte. Die Filmemacher versuchen, auf die Struktur der Texte zu antworten.“ Manche Filmemacher suchen sich immer neue Vorlagen, manche arbeiten regelmäßig mit einem Dichter zusammen. So wie Hubert Sielecki, der Werke des Wieners Gerhard Rühm bebildert. Von diesem Gespann stammt „Der längste Kuss“, der am Anfang der Weiterstädter Präsentation steht: Die Mitteilung eines Apothekerverbandes zur Verbesserung der Mundhygiene wird hier von zwei Sprechern, die bis zu acht Ärzte gleichzeitig verkörpern, derart rhythmisiert rezitiert, dass es wie eine Automatenansage klingt.
Mit solch heiteren, formal wie inhaltlich griffigen Kurzfilmen geht es bei der „Zebra“-Schau los und wird immer experimenteller und abstrakter. Am Ende stehen dann Werke wie „Pipeline“ des Norwegers Kristian Pedersen, der ein Gedicht von Öyvind Rimbereid in farbige Grafik übersetzt, die synästhetisch auf Sprache reagiert: Klang wird Form und Bewegung.
Im deutschen Beitrag „Das Fremde“ blicken wir in ein Uhrwerk, in dem ein Gedicht von Paul Celan akustisch zerlegt wird. Francois Vogel hat in „Marchant Grenu“ einen Spaziergang am Montmartre in einem Strudel aus extremen Weitwinkelbildern aufgelöst. „The Thing With Feathers“ wiederum überträgt Lyrik von Jinn Pogy nicht nur auf Film, sondern übersetzt sie als leidenschaftliches Pas de deux auch in Tanz.
Bisweilen ist der Zuschauer fast überfordert, wenn er etwa den atmosphärisch düsteren Trickfilm „The Black Man“ von Alexander Fedorov sieht, die russische Lyrik von Sergei Yeserin hört und dazu englische Untertitel lesen muss. „Die meisten unserer Filme sind auf Deutsch, aber wir sind ein internationales Festival. Da ist es wichtig, die Originalsprache zu hören, weil sie die Melodie ausmacht“, sagt Thomas Zandegiacomo.
Zum Einstieg in diese bisweilen etwas verwinkelte Welt der Zebrafilme ist ein amerikanischer Giraffenfilm ideal: Über animierten Collagen liegt in „Giraffe“ die Stimme des lyrischen Ichs, das sich über die kuriose Welt der turmhohen Tiere wundert, denen schon bei der Geburt eine Gehirnerschütterung droht, weil sie unsanft ins Leben plumpsen. Auch das ein schönes Bild für die wundersamen Kopfgeburten des Kinos, die im Zeichen des Zebras zu bestaunen sind.